Den Moment des höchsten Fußballglücks erlebten die Dynamo-Fans im Herbst 1975 gleich zweimal: Über die Wendungen des ersten Münchner Spiels um den europäischen Supercup zwischen Bayern und Dynamo habe ich im ersten Teil dieses Materials berichtet. Der Slalompass des späteren Golden-Ball-Gewinners Oleh Blokhin in der 67. Minute brachte Dynamo den Sieg - 1:0.
Was wird das zweite Spiel der beiden Rivalen vorbereiten? Wo wird der Super Cup überwintern? Diese Fragen besorgt Kiew und München Fans für fast einen Monat nach dem ersten Treffen. Jeder zählte die Tage bis zum Datum des 6. Oktober.
Aber zunächst einmal, was am Vorabend des Spiels geschah. Am 4. Oktober erhielt der Kiewer Dynamo-Rat ein Telegramm aus München mit folgendem Inhalt: "Wir kommen am Sonntag, den 5. Oktober, um 18.10 Uhr an. Wir bitten Sie, das Training um 19:00 Uhr, das Abendessen - um 20:30 Uhr - zu organisieren. Borschtsch, Beefsteak, Salat aus frischem Gemüse, dicke Kartoffeln und frisches Obst. Präsident des FC Bayern München Wilhelm Najdek."
Am 5. Oktober um genau 18:10 Uhr brachte eine Tu-134 der Aeroflot die Bayern zum Flughafen Boryspil. Von den Journalisten gebannt, wehrte die Mannschaft Fragen von allen Seiten ab. Vom Flughafen aus gingen die Deutschen zum Training ins Stadion der Republik. Und waren überrascht, mehrere tausend Fans auf der Tribüne sitzen zu sehen.
Am Montag - das Spiel. Bayern-Trainer Kramer schenkte seinen Jungs am Spieltag ein paar freie Stunden. Einige machten sich mit der Stadt vertraut und kauften Souvenirs, andere ruhten sich im Hotelzimmer aus und bereiteten sich auf das Spiel vor.
Zusammen mit den Bayern-Spielern landete übrigens auch der UEFA-Superpokal, der beim ersten Spiel zwischen Bayern und Dynamo am 9. September in München zu sehen war, in Boryspil. Was war das? Eine beeindruckende, meterlange und fast ein Pfund schwere (15 kg) Schale aus Gold und Silber kostete 20 000 Dollar. Für die damalige Zeit war das eine stolze Summe.... Ihre Herstellung wurde entweder von Ajax Amsterdam oder von einem niederländischen Philanthropen bezahlt.
Die Idee für den Super Cup stammte vom Präsidenten von Ajax Amsterdam, Jalan van Praag. Ziel war es, in zwei Spielen zwischen den Gewinnern des Meisterpokals und des Pokals der Pokalsieger die beste Mannschaft Europas zu ermitteln. Ajax, das Anfang der 1970er Jahre auf dem Kontinent führend war, schlug 1973 zweimal die schottischen Rangers.
Medaillen und Diplome gingen auf dem Weg verloren
UEFA-Präsident Artemio Franchi, der auch beim ersten Spiel in München anwesend war, flog von Rom nach Kiew. Am Flughafen Boryspil gestand der Funktionär vor Journalisten: "Ich wollte den Spielern beider Mannschaften Diplome und Medaillen der UEFA überreichen. Leider ist der Koffer mit den Auszeichnungen irgendwo unterwegs verloren gegangen".
Das Spiel in Kiew, in dem sich das Schicksal der Trophäe entschied, stieß auf großes Interesse. Es gab 650 Tausend Anmeldungen, um das Spiel "live" zu sehen: 250 Tausend nur aus Kiew, 395 - aus verschiedenen Städten, weitere 5 Tausend - aus dem Ausland. Aus dieser Zahl mussten 100 Tausend Fans aus dem In- und Ausland ausgewählt werden, um die gleiche Anzahl von Mündern zu füttern und zu trinken.
Die in der Kiewer Presse veröffentlichten Daten erscheinen unglaubwürdig. In der Halbzeitpause aßen die Zuschauer 40 Tausend belegte Brötchen, 25 Tausend Bagels, 20 Tausend Kekspackungen, 5150 Tafeln Schokolade. Sie tranken 3600 Liter Kwas und 65 Tausend Flaschen Obst- und Mineralwasser. Außerdem wurden in Kiew zum ersten Mal Anstecker mit den Emblemen der spielenden Mannschaften ausgegeben, ich habe zwei solcher Anstecker.
Wie in München glänzte Oleg Blokhin auch in Kiew. In der 40. Minute lief die Nummer 11 von Dynamo schnell am Spielfeldrand entlang, ließ seinen "Keeper" hinter sich, und als er den heraneilenden Meyer sah, schickte er den Ball weit weg vom Torwart in die untere Ecke - 1:0.
In der 53. Minute wurde Blokhin von einem Bayern-Verteidiger zu Fall gebracht. Das Tor ist 25 Meter entfernt. Und während Muntean und Veremeev noch überlegten, wer von ihnen einen Freistoß schießen sollte, schoss Blokhin selbst - und der Ball flog nach seinem Schuss auf einer niedrigen Flugbahn an der Mauer vorbei und schnupperte genau in die Ecke des verwirrten Meyers Tores - 2:0. Sieg! Die letzten Minuten des Spiels wurden von einem gewaltigen, weithin hörbaren Chor von 100.000 Stimmen begleitet: "Gut gemacht!" Es war die Sternstunde des ukrainischen Fußballs und von Dynamo Kiew.
Sie sprechen über das Spiel
Franz Beckenbauer, Bayern-Kapitän: "Nicht nur Dynamos linker Außenverteidiger hat ein super Spiel gezeigt, sondern alle seine Mitspieler haben toll gespielt. Ich erlaube mir zu sagen, dass Kiew jetzt eine der stärksten Mannschaften nicht nur in Europa, sondern auch in der Welt ist".
Artemio Franchi, UEFA-Präsident: "Der europäische Fußball braucht solche Endspiele - schön, korrekt, spektakulär. Und solche Sieger."
Französische Zeitung Ekip: "In Kiew gab es kein einziges stereotypes Ende, das ganze Spiel ohne Spannung - kurz gesagt, eine Vorstellung von echtem Fußball".
Die italienische Zeitung Gazzetta dello Sport: "Dynamo hat gezeigt, dass es eine originelle Mannschaft ist. Ihr Spiel ist voller Gedanken, Geschicklichkeit und Inspiration".
Hier die Aufstellung des europäischen Superpokalsiegers: Rudakov, Konkov, Fomenko, Reshko, Zuev, Troshkin, Buriak, Onishchenko, Blokhin.
Freunde, liebt Fußball, spielt Fußball, geht zum Fußball - und lasst euch öfters unvergessliche Spiele schenken. So wie es die Dynamo-Spieler 1975 für uns alle getan haben.
Oleksandr LIPENKO für Dynamo.kiev.ua