Präsident des UAF Andrej Schewtschenko beantwortete in einem Interview mit dem Magazin «Il Messaggero» aktuelle Fragen zur Situation im ukrainischen Fußball.
Andrej Schewtschenko— Wie ist die aktuelle Fußball-Situation in der Ukraine?
— Die Situation in der Ukraine ist aufgrund des anhaltenden Krieges unglaublich schwierig. Spiele finden unter strengen Sicherheitsprotokollen statt, oft ohne Zuschauer und in Regionen, wo das Risiko minimal ist. Unsere Klubs und Nationalmannschaften nehmen an nationalen und internationalen Turnieren teil. Für uns ist Fußball nicht nur ein Sport: es ist ein Symbol der Hoffnung und des Widerstands. Der ukrainische Fußballverband tut alles, um Spieler, Trainer und Fans zu unterstützen, damit der Fußball auch in diesen schwierigen Zeiten gedeihen kann.
— Wie viele Menschenleben wurden unter Sportlern und Fußballern durch den Krieg gefordert?
— Es gibt bereits bestätigte Angaben, dass seit Beginn des großangelegten Krieges mehr als 200 Vertreter der Fußballgemeinschaft gestorben sind. Dazu gehören Spieler, Trainer und andere Sportprofis, und ihre Zahl wächst weiter.
— Hat Ihre Familie irgendwelche Verluste erlitten?
— Der Krieg hat jede ukrainische Familie tief betroffen. Ich sehe viel Schmerz um mich herum. Die Verluste, die unsere Nation erlitten hat - sowohl im Leben der Menschen als auch durch die Zerstörung von Häusern und Gemeinschaften - sind herzzerreißend. Diese Tragödie vereint uns in der Trauer, stärkt aber auch unseren Willen, für eine friedliche und freie Zukunft der Ukraine zu kämpfen. Jeder Ukrainer trägt diese Verluste mit sich, die uns motivieren, voranzukommen.
— Wie viele Fußballfelder und -einrichtungen wurden beschädigt?
— Der Sport hat, wie viele andere Lebensbereiche, stark unter dem Krieg gelitten. Infolge der Angriffe des Feindes sind mehr als 500 Sportanlagen betroffen: 77 Stadien, 102 Sportbasen und -schulen, 174 Sporthallen. Davon sind 101 Gebäude vollständig oder teilweise zerstört. In einigen Regionen der Ukraine ist mehr als 60% der Sportinfrastruktur zerstört.
Aufgrund des Krieges ist es schwierig, von Rekonstruktion und dem Bau neuer Anlagen zu sprechen, aber es gibt dennoch Fortschritte. Nach dem Überfall Russlands habe ich als Botschafter von United24 an zahlreichen Wohltätigkeitsveranstaltungen zur Beschaffung von Mitteln für die Wiederherstellung der Fußballinfrastruktur teilgenommen. Eines davon war das Fußballspiel Game4Ukraine im Stadion «Stamford Bridge» in London. Dank dieser Initiative konnten wir Mittel für die Wiederherstellung einer in der Region Tschernihiw durch eine russische Rakete zerstörten Schule sammeln. Die Reparaturarbeiten haben bereits begonnen.
— Welches Bild verletzt Sie am meisten?
— Eines der herzzerreißendsten Bilder für mich sind die kleinen Patienten der Kinderkliniken, die in diesem Krieg Verletzungen erlitten haben, und ganze Städte, die durch die Teppichbombardierung des Feindes zerstört wurden.
Was meine persönlichen emotionalen Bindungen betrifft, so würde ich das zerstörte Stadion «Sonnig» in Charkiw nennen. Es wurde für die Euro 2012 gebaut und symbolisierte Hoffnung, Einheit und Freude am Fußball. Heute liegt es in Trümmern und ist eine Erinnerung an die Verwüstung, die der Krieg angerichtet hat. Um sicherzustellen, dass die Welt das Ausmaß dieses Verlustes erkennt, haben wir für die Euro 2024 einen Teil der Tribüne des Stadions «Sonnig» mitgebracht. Sie wurde bereits in Städten wie Düsseldorf, München, Berlin und Paris ausgestellt. Der Anblick dieser Ruinen berührte Tausende von Menschen und erinnerte sie an die Kosten des Krieges und den Widerstand der Ukraine.
— Was erwarten Sie von 2025?
— Im Jahr 2025 erwarte ich eine Fortsetzung des Wachstums und des Fortschritts des ukrainischen Fußballs, trotz der Schwierigkeiten, mit denen wir konfrontiert sind. Die Situation ist komplex, aber unsere Nationalmannschaften, sowohl die Erwachsenen- als auch die Jugendteams, geben große Hoffnungen. Wir werden hart daran arbeiten, den ukrainischen Fußball auf internationaler Ebene zu stärken, wobei wir besonderen Wert auf die Entwicklung junger Talente und den Erfolg bei europäischen und weltweiten Wettbewerben legen. Darüber hinaus sehe ich die Entwicklung des Massenfußballs, des adaptiven Fußballs und insbesondere des Fußballs für Menschen mit amputierten Gliedmaßen, um die Möglichkeiten dieses Sports zur Überwindung emotionaler und physischer Traumata des Krieges zu nutzen.
— Der Westen war der Ukraine nah, aber haben Sie nicht das Gefühl, dass er an den Krieg gewöhnt ist und dies zu einem allmählichen Rückgang der Hilfe für Ihr Land führen könnte?
— Die Unterstützung des Westens hat eine fundamentale Rolle dabei gespielt, der Ukraine zu helfen, sich selbst zu verteidigen und die Werte von Freiheit, Demokratie und Einheit zu vertreten. Mit der Zeit könnte sich jedoch die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit ändern. Damit dies nicht geschieht, müssen wir weiterhin unsere Geschichte teilen und betonen, dass der Krieg nicht nur etwas Lokales ist, sondern ein Kampf um universelle Prinzipien. Indem wir den Rückhalt unseres Volkes demonstrieren, können wir die Ukraine im Mittelpunkt der internationalen Gemeinschaft halten. Ich nutze meine Stimme und meine Plattform, um der Welt von unserem Kampf zu erzählen.
— Tut es Ihnen weh zu sehen, dass der Fußball weitergeht, mit seinen üblichen Problemen und Widersprüchen, während ukrainische Mannschaften gezwungen sind, ihre internationalen Heimspiele im Ausland auszutragen?
— Fußball war für die Ukrainer schon immer mehr als nur ein Spiel. Zu sehen, wie der Fußball in anderen Teilen der Welt weitergeht, während unsere Mannschaften ständig im Ausland oder unter außergewöhnlichen Bedingungen spielen müssen, ist eine eindringliche Erinnerung an das, was wir durchleben. Unsere Klubs und Spieler haben unglaublichen Willen gezeigt, die Ukraine auf internationaler Bühne zu vertreten, trotz unvorstellbarer Herausforderungen. Sie spielen nicht nur um Trophäen, sondern um die Welt an den Kampf und die Standhaftigkeit der Ukraine zu erinnern.
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